Wenn Sie sich in einer Beziehung befinden, in der Sie sich nach und nach schwächer fühlen, anfangen, an sich selbst und ihrer Wahrnehmung zu zweifeln und sich immer mehr selbst verlieren, dann kann es hilfreich sein, die folgenden Fragen zu beantworten:

  • Fühle ich mich oft kritisiert und abgewertet?
  • Habe ich das Gefühl, dass meine Bedürfnisse und Wünsche nicht ernst genommen werden?
  • Bin ich ständig bemüht, meinen Partner glücklich zu machen und seine Erwartungen zu erfüllen?
  • Habe ich Angst davor, meinen Partner zu verlieren und bin bereit, viele Kompromisse einzugehen?

Wenn Sie diese oder ähnliche Fragen mit Ja beantworten, dann könnte es sein, dass Sie sich in einer toxischen (=zerstörerischen, ungesunden, dysfunktionalen) Beziehung befinden. Oftmals spielen dann narzisstische Persönlichkeitszüge des Partners eine Rolle.

Was bedeutet Narzissmus?

Narzissmus ist ein psychologischer Begriff, der eine Persönlichkeitsstörung beschreibt, bei der Betroffene ein stark überhöhtes Selbstbild haben und ein übermäßiges Bedürfnis nach Bewunderung verspüren. Sie zeigen oft wenig Empathie für andere Menschen. Stattdessen haben sie eine besondere Fähigkeit, das Selbstwertgefühl ihrer Mitmenschen zu untergraben und sie von sich selbst zu entfremden.

Meiner Erfahrung nach sind es vor allem 4 E’s des Narzissmus, die sich bei Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Zügen beobachten lassen:

 

Egozentrik

Narzissten drehen sich ausschließlich um sich selbst. Ihre Bedürfnisse und Wünsche stehen permanent im Vordergrund, während die Bedürfnisse anderer völlig unbeachtet bleiben. Sie haben ein überhöhtes Selbstbild und erwarten von ihrer Umgebung ständige Bewunderung und Aufmerksamkeit. Gespräche mit Narzissten drehen sich fast ausschließlich um sie und ihre Großartigkeit. Sie stellen sich gezielt in den Mittelpunkt betonen bei jeder Gelegenheit – ungefragt und wiederholt – von wem sie wann in welcher Form gelobt und bewundert worden sind. Aufgrund ihrer gefühlten Großartigkeit gehen sie davon aus, dass ihnen jederzeit eine exklusive Behandlung zusteht: Der beste Tisch im Restaurant, das Vorgezogen werden in einer Warteschlange, der best ausgestattetste Arbeitsplatz im Büro, der eigene Parkplatz vor der Firma, das prestigeträchtigste Projekt, etc.

Dieser Exklusivitätsanspruch zeigt sich häufig auch im Umgang mit anderen, wobei die narzisstische Person selektiv entscheidet, welche Beziehungen für sie von Wert sind. Oft zeigt sich auch eine Abneigung gegenüber Menschen, die sie als unterlegen empfinden.

Empathielosigkeit

Ein besonderes Kennzeichen von Narzissmus ist der Mangel an Empathie. Narzissten sind unfähig, sich in die Gefühle anderer hineinzuversetzen. Sie können nicht nachvollziehen, wie ihre Handlungen andere Menschen verletzen oder kränken. Stattdessen sehen sie andere Menschen oft nur als Mittel zum Zweck, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Oft erscheinen sie sehr selbstzentriert und unaufmerksam gegenüber den Gefühlen ihrer Mitmenschen. Und, wenn sie doch mal Interesse oder Mitgefühl signalisieren, fühlt sich das für ihr Gegenüber oft “aufgesetzt” oder nicht authentisch an.

Empfindlichkeit

Trotz ihres scheinbar starken Auftretens sind Narzissten sehr empfindlich gegenüber Kritik und Ablehnung. Sie interpretieren jede noch so vorsichtig formulierte negative Rückmeldung als persönlichen Angriff und reagieren nicht selten mit Wut oder Rache. Dabei betreiben sie oftmals eine Täter-Opfer-Umkehr und schieben die Schuld für Konflikte auf andere. Sie behaupten, dass ihr Gegenüber sie provoziert oder missverstanden habe und stellen sich als Opfer dar, um Mitleid zu ernten und die Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Diese scheinbare Verletzlichkeit des Narzissten überrascht den ursprünglichen Kritikgeber und führt bei ihm zu noch mehr Verunsicherung und Schuldgefühlen.

Entwertung

Narzissten haben die Angewohnheit, andere Menschen abzuwerten, um sich selbst aufzuwerten. Sie versuchen, ihr Gegenüber kleinzumachen und ihm das Gefühl zu geben, nicht gut genug zu sein. Sie suchen nach Fehlern und Schwächen, um das Selbstwertgefühl anderer zu untergraben. Dies kann auf subtile Weise geschehen, etwa durch sarkastische Bemerkungen oder auch mittels offener Kritik. In Partnerschaften agieren Narzissten gerne mit kleinen Sticheleien, die dem Partner signalisieren, dass sie auch von anderen Menschen ständig umworben werden und ihre Großartigkeit natürlich nicht nur einer Person (dem Partner) vorbehalten sein darf. Durch die Entwertung anderer versuchen sie, ihre eigene Überlegenheit zu beweisen und innere Unsicherheiten zu kompensieren. Menschen in Beziehungen mit Narzissten erleben währenddessen eine Vielzahl von Emotionen, wie Verwirrung, Scham und Angst – gerade das Schamgefühl hindert sie dann oftmals daran, mit anderen über die unangenehmen Erfahrungen zu sprechen und sich Unterstützung von außen zu suchen.

Mehr dazu, wie Narzissten das Selbstwertgefühl ihres Gegenübers untergraben, warum es oft so schwer ist, ihre Absichten zu erkennen sind und wie es gelingen kann, sich aus narzisstischen Bindungen zu lösen, finden Sie hier.

 

Herzliche Grüße,

Ihre Sabine Eymann

Redaktioneller Hinweis: Narzissmus tritt bei Personen jeglichen Geschlechts auf. Um die Lesbarkeit zu erhöhen, wird nicht in jedem Satz die geschlechtsneutrale Formulierung verwendet.

Über die Autorin

Sabine Eymann, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Systemischer Coach und Diplom-Betriebswirtin. Sie war über zwei Jahrzehnte in der Personalentwicklung großer Dax-Konzerne tätig. Heute begleitet sie Menschen in psychisch herausfordernden Situationen und persönlichen Lebenskrisen. Weitere Schwerpunkte liegen u.a. in der Behandlung von Ängsten und Depressionen, unkontrollierten Emotionen, wiederkehrenden Mustern in Beziehungen sowie in der Stärkung von Selbstwert und Selbstmitgefühl.

www.psychotherapie-eymann.de