Empty Nest: Wenn erwachsene Kinder ausziehen, bleibt oft mehr zurück als nur ein leerer Raum. Es entsteht eine neue, ungewohnte Stille – nicht nur im Haus, sondern auch im eigenen Inneren.

Manche Abschiede kommen leise. Ohne Streit, ohne Abschiedsszene – und trotzdem verändert sich alles. Vielleicht erleben Sie gerade diesen Moment: zwischen Stolz und Melancholie, zwischen neu gewonnener Ruhe und einem Gefühl des Verlusts. Es ist nicht einfach nur still geworden. Es fehlt etwas.

Ein Abschnitt geht zu Ende

Lange war der Alltag geprägt vom Leben mit Kindern. Ihre Bedürfnisse gaben den Takt vor, ihr Dasein bestimmte den Tag. Und nun ist da plötzlich Raum – äußerlich und innerlich.

Zurück bleibt häufig ein Gefühl von Orientierungslosigkeit. Wer bin ich, wenn mich niemand mehr tagtäglich braucht? Und was mache ich mit all der Zeit, die sich noch nicht nach Freiheit anfühlt?

Diese innere Unruhe hat einen Namen: Empty-Nest-Syndrom. Kein medizinischer Begriff, aber ein Ausdruck für eine Lebensphase, die viele durchlaufen.

Auch in meiner Praxis begegne ich diesem Thema immer wieder. Oft schleicht es sich ein – als vages Gefühl von Leere, als Unsicherheit oder als eine schwer greifbare Traurigkeit. Dieser Übergang fordert emotional mehr, als man vielleicht erwartet hätte.

Wenn sich Rollen verschieben

Das Elternsein bleibt, aber die Rolle verändert sich.
Wenn das tägliche „Kümmern“ plötzlich wegfällt, entsteht oft ein Vakuum. Die vertraute Identität gerät ins Wanken – und damit kommen ganz unterschiedliche Gefühle hoch:

  • Traurigkeit ohne klaren Grund

  • Einsamkeit – auch in einer Beziehung

  • Rastlosigkeit oder das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden

  • Körperliche Symptome wie Schlaflosigkeit, Erschöpfung oder Gereiztheit

Wenn Sie sich in diesen Zeilen wiedererkennen: Sie sind nicht allein. Und es ist völlig in Ordnung, so zu empfinden.

Fünf Impulse zur Selbstreflexion beim Empty Nest Syndrom

Veränderungen stellen nicht nur den Alltag um, sie werfen oft auch Fragen auf, die lange keinen Platz hatten. Ich möchte Ihnen fünf Fragen mitgeben – nicht als To-do-Liste, sondern als Einladung, sich selbst neu zu begegnen. In Ihrem Tempo. Ohne Druck.

1. Was fühle ich gerade?

Vielleicht merken Sie, dass Sie gar nicht so genau wissen, wie es Ihnen eigentlich geht, weil in den letzten Jahren zu wenig Zeit für diese Frage war. Oder weil sich ein Teil von Ihnen nicht traut, traurig zu sein – weil das Kind doch genau das tut, was Sie sich immer gewünscht haben: selbstständig leben.

Und trotzdem ist da etwas. Vielleicht ein Ziehen in der Brust. Eine Müdigkeit, die sich nicht mit Schlaf vertreiben lässt. Eine diffuse Leere.

Gefühle brauchen keinen guten Grund, um da zu sein. Sie wollen einfach gesehen werden.

Und daher kann es schon sehr hilfreich sein, sich einen Moment Zeit zu nehmen – und einfach mal zu spüren: Was ist gerade da? Und sich selbst zu erlauben, dass dieses Gefühl (welches es auch immer ist) da sein darf.

2. Wie sieht Selbstfürsorge für mich aus?

Mit dem Auszug der Kinder verschiebt sich vielleicht auch Ihr Fokus. Hatten Sie seit der Geburt Ihrer Kinder vor allem deren Fürsorge im Blick, fällt nun ein Teil weg, der lange da war. Es entstehen neue Räume: Zeitlich, weil vielleicht das Kochen oder der Wäscheberg weniger Aufwand mit sich bringen. Vor allem aber auch emotional, weil der Alltag sich verändert und die Nähe anders wird. Dieser neue Freiraum kann erst einmal ungewohnt sein, bietet aber auch die Chance, sich selbst wieder mehr Raum und Aufmerksamkeit zu schenken.

Und plötzlich ist da (wieder) Zeit für Selbstfürsorge. Und die beginnt genau dort, wo Sie sich ehrlich fragen: Was tut mir gerade wirklich gut – ganz unabhängig davon, ob es „produktiv“ oder „sinnvoll“ erscheint.

Vielleicht ist es ein Moment mit einer Tasse Kaffee in der Sonne, ohne nebenbei an andere Dinge zu denken. Ein Spaziergang ohne festes Ziel, bei dem Sie einfach nur gehen und spüren. Oder ein kurzer Mittagsschlaf, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Was auch immer es ist – es muss nicht groß oder aufwendig sein. Wichtig ist nur, dass es Ihnen ehrlich guttut.

3. Was mochte ich früher?

Können Sie sich noch erinnern, was Ihnen einmal Freude gemacht hat – bevor der Alltag mit Kindern alles bestimmte?

Ein Hobby, eine Leidenschaft, ein Wunsch, der lange brach lag? Vielleicht regt sich jetzt etwas davon wieder. Etwas, das Lust macht auf Neues oder auf etwas Vertrautes, das Sie lange vermisst haben.

Nicht jede alte Leidenschaft muss zurückkehren. Aber manchmal zeigt sich darin ein Teil von Ihnen, der endlich wieder Raum bekommen möchte.

4. Was verändert sich in meiner Partnerschaft?

Wenn die Kinder Ihre eigenen Wege gehen, verändert sich oft auch die Dynamik als Paar.
Vielleicht ist jetzt wieder mehr Zeit füreinander, vielleicht auch mehr Raum, um zu merken, was fehlt?

Wie geht es Ihnen in Ihrer Beziehung – ganz ohne die gewohnte Alltagsroutine?
Gibt es Dinge, die Sie sich wünschen würden? Gespräche, gemeinsame Zeit, neue Rituale?

Es muss nicht sofort klar sein, wohin das führt. Aber wieder mehr miteinander in Kontakt zu kommen – das ist oft ein guter Anfang.

5. Wie kann ich mit den Kindern in Verbindung bleiben?

Manchmal erzählen mir Klient:innen von Ihrer Sorge, dass Sie mit dem Auszug der Kinder auch die enge Bindung zu ihnen verlieren könnten.

Und ja – es verändert sich etwas. Der tägliche Kontakt, das Mitbekommen kleiner Alltagsdinge, das gemeinsame Abendessen – all das wird seltener. Aber das heißt nicht, dass die Verbindung abreißt.

Oft entsteht etwas Neues: Eine Beziehung, die nicht mehr auf täglicher Nähe basiert, sondern auf gegenseitigem Wunsch nach Kontakt. Weil man miteinander verbunden bleiben möchte – ganz freiwillig.

Das kann sich erst einmal ungewohnt anfühlen. Aber viele erleben genau das mit der Zeit als besonders schön – und oft sogar tiefer als zuvor.

 

Ein leerer Raum – und was darin wachsen kann

Was also vielleicht zunächst nach Verlust aussieht, kann mit der Zeit Raum für Neues schaffen. Nicht sofort. Nicht unter Druck. Sondern langsam, behutsam und mit Blick nach innen.

Vielleicht spüren Sie irgendwann eine neue Frage in sich wachsen:

“Was könnte dieser neue Lebensabschnitt für mich bereithalten?”

Vielleicht ist es Zeit für etwas, das bisher keinen Platz hatte. Vielleicht entsteht neue Nähe – zu sich selbst, in der Partnerschaft, in Freundschaften. Vielleicht ist es auch einfach nur: ein bisschen mehr Ruhe. Und das darf reichen.

 

Wenn es schwer bleibt

Nicht immer gelingt dieser Übergang allein. Wenn Gefühle überhandnehmen, wenn Antrieb fehlt, wenn die Leere nicht weicht – dann kann Unterstützung helfen. Gerne bin ich für Sie da mit einfühlsame Gesprächen und gebe Ihnen einen Raum zum Sortieren und für all das, was innerlich in Bewegung ist. Sie sind nicht allein. Und Sie müssen da nicht alleine durch.

 

Über die Autorin

Sabine Eymann, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Verhaltenstherapeutin, Systemischer Coach und Diplom-Betriebswirtin. Sie war über zwei Jahrzehnte in der Personalentwicklung großer Dax-Konzerne tätig. Heute begleitet sie Menschen in psychisch herausfordernden Situationen und persönlichen Lebenskrisen. Weitere Schwerpunkte liegen u.a. in der Behandlung von Ängsten und Depressionen, unkontrollierten Emotionen, wiederkehrenden Mustern in Beziehungen sowie in der Stärkung von Selbstwert und Selbstmitgefühl.

www.psychotherapie-eymann.de